Zoya Pirzad, Die Lichter lösche ich, Roman, Insel 2006 Die Bremsen des Schulbusses waren zu hören. Dann das Quietschen des metallenen Hofgatters und ein Getrappel auf dem schmalen Pfad über den Rasen. Nicht nötig, auf die Wanduhr der Küche zu sehen. Es war viertel nach vier.
Als die Haustür sich öffnete, glättete ich meine Schürze und rief, "Kittel ausziehen, Hände und Gesicht waschen. Den Ranzen wirft man nicht mitten in den Flur."
Ich ließ die Schachtel mit den Papierservietten in die Mitte des Tischs gleiten und wandte mich dem Kühlschrank zu, um die Milch herauszunehmen, als ich an der Küchentür vier Personen erblickte.
"Salam", sagte ich. "Ihr hattet nicht gesagt, daß ihr einen Gast mitbringt. Sobald ihr eure Kittel ausgezogen habt, ist auch der Nachmittagsimbiß für eure Freundin fertig."
Insgeheim war ich froh, daß sie nur einen Gast mitgebracht hatten, und musterte das Mädchen, das zwischen Ārmineh und Ārssineh unschlüssig von einem Fuß auf den anderen trat. Es war höher gewachsen als die Zwillinge und erschien zwischen den beiden rosigen, wohlgenährten Gesichtern bleich und mager. Ārmen stand ein paar Schritte hinter ihnen. Er kaute Kaugummi und starrte auf das blonde Haar des Mädchens. Sein weißes Hemd, dessen oberste drei Knöpfe offenstanden, hing ihm aus der Hose. Vermutlich hatte er wie gewöhnlich mit irgendwem gerauft. Ich setzte den vierten Teller und ein Glas auf den Tisch und dachte, hoffentlich werde ich nicht erneut in die Schule vorgeladen.
Ārmineh stellte sich auf die Zehenspitzen und legte ihre Hand auf die Schulter des Mädchens. "Wir haben Emily im Bus kennengelernt."Ārssineh strich ihr über das Haar. "Sie sind gerade erst in G-4 eingezogen."
Ich nahm eine weitere Sandwichrolle aus dem Brotkasten. Wie hatte ich den Umzug übersehen können? G-4 lag unserem Haus gegenüber, auf der anderen Straßenseite.
Ārmineh unterbrach meine Gedanken, "Sie sind gestern eingezogen."Ārssineh fuhr fort, "Als wir gerade im Clubhaus waren." Dann wandten sich beide dem Mädchen zu.
Die Naht der Tasche von Ārminehs Schuluniform war zum weiß Gott wievielten Mal eingerissen. "Früher wohnte Sophie in G-4."
Ohne hinzusehen wußte ich, daß auch Ārssinehs Kitteltasche eingerissen war. "Sophies Mutter ist Ninas Tante."
Die Schleife von Ārminehs weißem Kragen hatte sich gelöst. "Onkel Garnik, Sophies Papa ----"
Ārssineh löste die Schleife ihres Kragens. "Wie komisch er ist, nicht, Ārmineh?"
Ārmineh nickte ihr rasch zu. "Wir sterben vor Lachen über seine Späße."
Ich öffnete beiden die Kragen und betrachtete erneut das Mädchen, das sich offenbar nicht besonders um die Zwillinge zu kümmern schien. Es hielt die Hände auf dem Rücken verschränkt und musterte heimlich seine Umgebung. Seine Lippen waren von kräftigem Rosa, als hätte es sich geschminkt. Ich schnitt die vierte Sandwichrolle auf und sagte, "Gesicht-und-Hände-waschen."
Sobald sie hinausgegangen waren, begann meine pessimistische Seite zu nörgeln. Was hatte das Mädchen so sorgfältig gemustert? War vielleicht irgend etwas schmutzig? Die Küche war ihm doch nicht etwa häßlich oder merkwürdig erschienen? Meine optimistische Seite kam mir zu Hilfe. Vielleicht ist deine Küche ein wenig unordentlich, aber schmutzig ist sie nie. Außerdem darf man sich nicht um die Meinung eines kleinen Mädchens kümmern. Ich strich Käse über die Butter, legte das Sandwich auf den vierten Teller und ließ meinen Blick wandern. Ich sah die Lehmkrüge mit den getrockneten Blumen auf den Küchenborden und die Schnüre mit roten Pfefferschoten und Knoblauch, die ich an die Wand gehängt hatte. Meine optimistische Seite tröstete mich. All das und noch viel mehr, was es in anderen Küchen nicht gibt, ist hübsch für dich. Selbst wenn Mutter, Schwester und Bekannte darüber lachen und sagen sollten, Clarisses Küche ähnele Hänsel-und-Gretels Hexenhäuschen, brauchst du deswegen nicht deinen Geschmack zu ändern, darfst dir ihre Worte nicht so zu Herzen nehmen, darfst nicht --- Ich entdeckte den Blumentopf auf der Fensterbank. Die Blumenerde mußte gewechselt werden.
Ārmen kehrte, Gesicht und Hände gewaschen, vor den Mädchen zurück in die Küche. Er hatte sein Haar angefeuchtet und glatt über den Kopf gekämmt. Die Locken hatte er sich vorn in die Stirn fallen lassen. Er trug sein schwarzes Lieblingshemd, das auf der Brust mit einem langhornigen Widder verziert war. Als hätten meine täglichen Ermahnungen endlich gefruchtet und mein fünfzehnjähriger Sohn gelernt, auch zu Hause sauber und gepflegt zu erscheinen. Wäre nur meine Mutter da und würde ihn sehen.