susa
Literarische Übersetzungen Persisch und Französisch, Sachtexte Englisch
Dienstag, 2. Juni 1970
Leseproben
Fattaneh Haj Seyed Javadi, In der Abgeschiedenheit des Schlafs, Erzählungen, Insel 2004 (Auszug)

Ich wälze mich in den Laken und träume von dir, mein Liebster. Träume, ich sei wach. Ich bemerke nicht, wie die Zeit verfliegt. Mein Herz wird mir vor Freude klopfend aus der Brust springen. Laß die Ärzte dieses Herzklopfen im Schlaf als Krankheit betrachten. Was wissen sie schon von dem, was ich gerade sehe? Ich sehe dich, wie du zur Tür hereinkommst. Du trägst eine Schachtel voller Quitten in der Hand. Ich hatte dir erzählt, daß ich Quitten liebe. Du lachst und küßt mich. Du sagst, du würdest sogar auf die Quitten eifersüchtig sein. Schüttest sie scherzend auf den Boden, wie um sie zu vernichten. Ich beiße in eine Quitte als sei es ein Apfel. Die Quitten reichen für eine Armee. Du wickelst die Hälfte davon in Watte und legst sie in die Schachtel zurück, damit ich zu allen Jahreszeiten davon essen kann. Deine aufrichtige Liebe weckt meinen Appetit, nicht der Geschmack der Quitten. Wir gehen nur selten aus, um uns zu amüsieren. Das häusliche Leben ist unsere größte Zerstreuung. Wann immer wir ausgehen wollen, besuchen wir das Abbassiden-Hotel. Aber nicht, um den prächtigen Hof mit den märchenhaften Malereien zu besichtigen, oder die azurblauen, wie in grünen Samt eingebetteten Fontänen, oder gar das Teehaus, das mit seinen Sitzkissen eine fürstliche Erholung wie im Harem verspricht, sondern um den Parkplatz wiederzusehen, der sich durch deinen Händedruck in unser Tadj Mahal verwandelt hatte.
Seit unserer Hochzeit sind zehn traumhafte Monate vergangen. Wir erinnern uns erneut an unsere Flitterwochen. Es ist Ende Juni, und du willst vor Beginn deiner neuen Anstellung mit mir verreisen. Ich wünsche mir, mit dir durch die Bakhtiari-Berge zu wandern. Du versprichst es mir, nimmst mich aber vorläufig nicht dahin mit. Wir reisen nach Teheran und suchen das Zimmer im Hause deines Onkels auf, daß du während deiner Studienzeit bewohnt hattest. Der Anblick deiner Junggesellenklause weckt alte Erinnerungen und macht mich noch schwärmerischer. Wir machen einen Abstecher ans Kaspische Meer. Jede Sekunde ist von wunderbaren Düften erfüllt, die wir wie Bienen freudig einsaugen. Wir räumen deinen kleinen Hausstand zusammen. Er paßt in den Kofferraum der Ente, die dein Vater uns geliehen hat. Deine Bücher stapeln sich auf dem Rücksitz. Es kümmert uns nicht, keinen eigenen Wagen zu besitzen. Wir bestehen nicht darauf, ein eigenes Haus zu besitzen. Wir werden eine Wohnung mieten und abwarten. Alles wird sich mit der Zeit finden. Hauptsache, du beginnst zu arbeiten.
Wir befanden uns auf dem Rückweg nach Isfahan, als ich meine Schuhe abstreifte, meine Knie am Armaturenbrett abstützte und den Kopf an die Nackenstütze lehnte. Auf dem Weg nach Isfahan war es, als du mir versprachst, mich in die Bakhtiari-Berge mitzunehmen. Du erzähltest mir, du habest dich vermutlich bereits als Zwölfjähriger in meinen dunklen Teint, meine kurzen, zerzausten Haare und mein tränenfeuchtes Gesicht verliebt. Du erzähltest mir, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um unsere Heirat habe der Anblick einer Birne dich stets an das Gesicht eines fünfjährigen Mädchens erinnert, das wegen seinem ungerechten Anteil von zu Hause fliehen wollte, was dich zutiefst bedrückt hatte. Auf eben diesem Weg nach Isfahan geschah es, daß uns ein Lastwagen entgegenkam.
Ich wälze mich in den Laken und träume von dir, mein Liebster. Mein Allerliebster. Ich liege in einem Krankenhausbett und bin vom Scheitel bis zur Sohle bandagiert. Schatten kommen und Schatten gehen. Wer bin ich? Wo bin ich? Wo bist du? Meine Tante steht an meinem Bett. Welch liebevolle Tante. Noch liebevoller als meine Mutter. Sie ist ruhig und gefaßt. Sie lächelt sogar. Sie sagt, es ginge dir nicht gut. Sie sagt, man habe dich zur Behandlung nach Teheran gebracht, und ich schlafe wieder ein.
Ich bin zu Hause, liege wie ein Kadaver auf dem Bett. Alle gehen auf Zehenspitzen. Alle flüstern miteinander. Mir wird übel. Ich verabscheue ihr ständiges Flüstern. Mein Bruder kommt an mein Bett. Ich wundere mich. Ich möchte ihn fragen, wo er war, wann er gekommen ist. Aber ich sehe ihn nur still an. Ich sehe alle still an. Frage niemanden, wie es dir geht. Zweifellos wirst du zu mir zurückkehren, sobald es dir wieder besser geht. Die Augen meines Bruders sind feucht. In den Blicken und Mienen ist ein Ausdruck, den ich nicht deuten kann. Den ich nicht deuten will, damit sie ihn nicht aussprechen.
Ich träume, man habe die Wände mit schwarzen Tüchern verhängt. Ich erwache. Immer noch liege ich kraftlos auf meinem Lager. Das Verrinnen der Zeit kümmert mich nicht. Bis jetzt habe ich noch nicht in den Spiegel geschaut. Heute verlange ich einen Spiegel. Widerwillig reicht man ihn mir. Mein Gesicht und meine Haare sind von roten Schürfwunden übersät. Meine beiden Knie sind zerschmettert. Man sagt mir, ich habe Glück gehabt, daß mein Kopf an die Nackenstütze gelehnt war. Ich kann mich an nichts mehr erinnern.
Meine Tante trifft ein. Meine Mutter flüstert ihr etwas ins Ohr. Mein Vater sitzt schweigend an meinem Bett und hält den Kopf gesenkt. Mein ehrsüchtiger Bruder schämt sich, mir in die Augen zu blicken. Meine Schwiegermutter hat mich nur ein einziges Mal besucht. Mit aufgedunsenem und gerötetem Gesicht hatte sie ihren Kopf durch die Tür gesteckt. Ihren Körper konnte ich nicht sehen. Sie betrachtete mich und sagte, "Wo fände man den Duft der Blume, es sei denn im Rosenwasser."